Haus St. Antonius
Grein a.d. Donau / Österreich
(Juli 2024)
Mag. Elisabeth Svoboda
Die Wiener Türkenbelagerung 1683
Die Wiener Türkenbelagerung des Jahres 1683 – dabei denken die meisten Menschen gleich an den erfolgreichen Einsatz des Polenkönigs Jan Sobieski (Johann III. Sobieski). Ja, natürlich. Und doch ist das nicht alles.
In der Wiener Innenstadt gibt es die Marco-d´Aviano-Gasse. Sie verbindet die Kärntner Straße mit dem Neuen Markt. Am Neuen Markt befindet sich die Kapuzinerkirche und das Kapuzinerkloster.
Wer war Marco d´Aviano?
Marco d´Aviano war ein italienischer Kapuzinerpater.
„Markus ist als zweites von zehn Kindern der Familie Cristofori am 17. November 1631 in Aviano (Friaul) zur Welt gekommen. Er wurde auf den Namen Carlo Domenico getauft. Carlo, weil in diesem Jahr 1631 auf die Fürbitte des hl. Karl Borromäus die Pest zu Aviano ihr Wüten einstellte. Die Familie Cristofori gehörte zu den begüterten Bürgern des Marktes Aviano und war überzeugt gläubig.“ 1
„Frühzeitig schon ereigneten sich nach Aussage seiner Mutter Wundertaten an dem Kinde. (…)
1648 trat Karl bei den Kapuzinern als Novize ein und erhielt den Ordensnamen Marcus. Bald erregten seine zu Verona gehaltenen Fastenpredigten allgemeine Aufmerksamkeit, und um 1676 ist er einer der bekanntesten Bußprediger nicht nur Oberitaliens, sondern der ganzen Halbinsel.
Seinen Predigten folgen überall wunderbare Heilungen in erstaunlicher Zahl, und wo er hinkommt, läuft das Volk zusammen, den Mann Gottes zu hören.“ 2
„Seit vier Jahren bat man den Ordensgeneral und den Papst um die Gnade, Markus nach Deutschland zu bekommen. Umsonst. Markus war ja schon für Italien ein unerklärbares Phänomen. Man lehnte ab: der Pater verstehe kein Deutsch! Erst im Mai 1680 war es möglich. Herzog Karl von Lothringen war durch den Franzosenkönig Ludwig XIV. seines Herrschaftsgebietes (Lothringen) beraubt worden. Er war darum als Statthalter von Tirol in den Dienst des Kaisers getreten. Karl war dem Kapuziner Markus innig verbunden, weil er seinem Segen aus der Ferne den lange vergebens ersehnten Stammhalter zuschrieb. So kam Markus anfangs Mai 1680 nach Tirol und lockte Tausende an. (…) In Innsbruck wurde Herzog Karl von Lothringen durch den Segen des Paters von einem schmerzhaften Fußleiden geheilt. Er (Karl, Anm.) sollte 1683 entscheidend an der Befreiung Wiens und an der Rückeroberung Ungarns teilnehmen. (…) Zwei Wochen später ist ganz München auf den Beinen. Markus predigt italienisch mit deutschen Brocken, die das Volk laut und ergriffen nachspricht, erschüttert, unter Tränen. Trotz der fremden Sprache wurde er in seinem Anliegen verstanden. Schon durch sein Wesen scheint er eine gnadenhafte Kraft ausgestrahlt zu haben. Allein in der Kapuzinerkirche waren 150 Krücken als Zeugen von Heilungen zurückgeblieben. Hier entsteht das von einer Kommission durch Zeugenverhöre abgefaßte ‚Mirakelbüchlein‘, das 391 Heilungen beschreibt.
Mit einer Beinverletzung, einem Magenleiden und erschöpft kehrte Markus nach Italien zurück. Der Kapuziner hatte diese erste Reise, wie es den Gepflogenheiten des Ordens entsprach, zu Fuß gemacht. Die Erholung war viel zu kurz. Noch im August 1680 mußte Markus wieder nach Österreich wandern. Der Erzbischof von Salzburg hatte in Rom seinen Besuch durchgesetzt. Vom 26. August bis 2. September fanden sich täglich so viele Menschen ein, daß der Dom sie nicht fassen konnte. Markus sprach vom Balkon des erzbischöflichen Palastes und segnete die Gläubigen. (…)
Per Schiff fuhr Markus von Salzburg bis Linz. Hier fand die erste Begegnung mit Kaiser Leopold I. statt. Durch Herzog Karl war Leopold so günstig beeinflußt, daß er dem Gottesmann mit außerordentlicher Achtung begegnete. Die Kaiserin begrüßte ihn kniend. Markus wird später dem Kaiser verraten: ‚Ich hielt Sie seit der ersten Begegnung für einen Heiligen, heiliger als ich es bin. Sie würden sofort in den Himmel kommen, ohne Fegefeuer, wenn bei Ihnen nicht die leidige Unentschlossenheit, durchzugreifen, wäre.‘ Markus tadelte verschiedene Mißstände in der Verwaltung, besonders die Ungerechtigkeiten in der Rechtssprechung. Auf Befehl des Kaisers wiederholte er in Predigten in der Kapuzinerkirche in Linz diese Feststellungen und drohte ein Strafgericht an, wenn dem Recht nicht zum Durchbruch verholfen würde: Bekehrt Euch! Sonst kommt über Österreich eine Strafe, fürchterlicher als die Pest 1679 – 1680! (…) Das Türkenjahr 1683 war die Erfüllung dieser Drohung.
Kaiser Leopold war damals 40jährig, seit 23 Jahren Monarch. Leopold war zuerst für die kirchliche Laufbahn bestimmt gewesen. Er hätte bei seiner religiösen Innigkeit einen großartigen Bischof abgegeben. Als sein älterer Bruder 1654 starb, mußte er die Laufbahn wechseln. Der Kaiser war intelligent, gebildet, ein Förderer der Künste, wahrheitsliebend und von starker Gewissenhaftigkeit. Seinen Glauben und seine Familie schätzte er über alles. Als Regenten fehlten ihm allerdings Energie und Entschiedenheit. Daher die Mißstände in der Rechtssprechung und das Hinausschieben wichtiger Entscheidungen; daher die Hofbeamten, die dem Kaiser falsche Berichte lieferten, sich bereicherten und durch falsche Zeugenaussagen sich gegenseitig deckten. Der Kaiser aber wagte nicht durchzugreifen, weil er fürchtete, Unrecht zu tun. (…)
Am 25. September 1680 verließ Markus Linz in Richtung Neuburg an der Donau, wo ihn Pfalzgraf Philipp Wilhelm am 8. Oktober freudig begrüßte. Am 9. Oktober gegen 17 Uhr predigte Markus in der Peterskirche in Anwesenheit des Hofes und einer großen Menge. Da kam Bewegung in die Zuhörer. Die Statue Mariens richtete plötzlich die Augen himmelwärts, dann auf den Prediger auf der Kanzel. Das Ereignis ist von Menschen aller Schichten bezeugt. Auch der Pfalzgraf spielt in seinen Briefen öfter auf dieses Ereignis an. Dieser Vorfall und die auszeichnende Freundschaft mit dem Kaiser machten Markus weiter populär. Viele Bayern, Pfälzer, Franken sollten mit diesem Wundertäter als Soldaten 1683 vor Wien zu tun haben, sich von ihm segnen und den Sieg über die Türken voraussagen lassen. Alles, was in dieser Zeit von 1680 – 1683 geschieht, ist bereits ein Beitrag für die Rettung Wiens.
In zahlreichen deutschen Städten entfachte Markus von Aviano eine Bewegung des Glaubens, der Bekehrung, des Gottvertrauens: Eichstätt, Bamberg, Würzburg, Worms, Mainz, Koblenz. In Köln ließ Erzbischof Max Heinrich von Wittelsbach die Berichte über erfolgte Heilungen sammeln und durch Eid bekräftigen. Bis Düsseldorf reichte die Mission. Die Einladung nach Westfalen und Holland lehnte Markus ab, weil er von Rom dazu keinen Auftrag hatte. Am 16. November wirkt er in Augsburg. Auch hier läßt der Bischof die charismatischen Heilungen prüfen und in Buchform publizieren. (…) Einzelne protestantische Kreise hatten in Schmähschriften gegen den Kapuziner Haß und Verachtung gesät. Doch viele evangelische Christen waren von der Demut und der Glaubensinnigkeit des Paters so ergriffen, daß sie laut ihre Sünden bereuten. Auch erfolgten Übertritte, die von großem Ernst zeugen.
Am 19. November 1680 verläßt Markus Augsburg. Es war ein aufreibendes Jahr: seit April war er zweimal zu Fuß nach Deutschland gekommen. Und welche Anstrengungen kostete ihn der Andrang in so vielen Städten und kleinen Orten Deutschlands!
Bei seiner Rückkehr nach Italien mußte er zunächst bis nach Weihnachten in die Quarantäne, da er aus pestverdächtigen Gebieten kam. (…)
Im Triumph ging die Reise durch die Städte der Lombardei, und am 14. Mai brachte ihn eine Karosse nach Frankreich. In Paris sollte er die Gattin des Thronfolgers besuchen, die – allerdings ohne Wissen ihres Gemahls und des Königs – seinen Rat erbeten hatte. – Die gläubige Begeisterung der Franzosen steigerte sich von Tag zu Tag, in Lyon strömten 200.000 Begeisterte zusammen. – Doch plötzlich änderte sich die Szene. Leibgardisten Ludwig XIV. verboten dem Kapuziner in beleidigender Form, sich Paris zu nähern, und forderten ihn auf, Frankreich schleunigst zu verlassen. Markus und sein Begleiter Pater Kosmas wurden festgenommen, bei Tag eingesperrt und nachts, gefesselt und auf einem Heuwagen versteckt, in Richtung Grenze transportiert. (…)
Der Sonnenkönig hatte Gründe genug, die Gegenwart Markus‘ in Paris zu fürchten: seine Unterstützung der Türken, Übergriffe gegen die Kirche und anderes. Der Kaiser hatte große Hoffnungen auf diese Reise gesetzt. ‚Wenn Eure Paternität nach Frankreich reisen‘, heißt es in einem Brief, ‚so zweifle ich gar nicht daran, daß Sie den König veranlassen werden, wahrhaft Frieden zu halten und jedem das Seine zu lassen.‘ Ludwig XIV. wollte es wohl vermeiden, daß ihm Markus etwa als Beauftragter des Papstes ins Gewissen redete oder sogar öffentlich bei seinen Predigten auf diese wunden Punkte zu sprechen käme. Wenn schon in Lyon 200.000 zusammenkamen, wieviele würden es dann in Paris sein? Die Auswirkungen waren nicht abzusehen. – ‚Die Krone Frankreichs braucht keine Wunder wie das Haus Habsburg!‘ spotteten die Höflinge.
Markus wurde also wie ein Sträfling nach Belgien abgeschoben – und dort mit höchster Verehrung empfangen. Mit seiner ausdrücklichen Erlaubnis begleiteten ihn die französischen Bewacher auch jenseits der belgischen Grenze, nun im Prunkwagen des Herzogs, und wurden so Zeugen der Verehrung Tausender Belgier. In Belgien ereigneten sich die Wunder, Bekehrungen und Bekundungen des Glaubens, wie wir sie von Deutschland her kennen. Brüssel, Antwerpen, Gent, Brügge, Löwen, Lüttich und andere Städte waren die eindrucksvollsten Stationen. In Antwerpen predigte er auf einem Platz zu 30.000, auf einem anderen zu 50.000 Zuhörern. Die Beichtstühle waren Tag und Nacht umlagert.
Wieder ging es nach Deutschland. Aachen, Düsseldorf, Westfalen wurden besucht, ja missioniert. Unwahrscheinliches Aufsehen erregte die Heilung des Bischofs von Münster und Paderborn, der von den Ärzten aufgegeben war. In Roermond, Holland, waren am 15. Juli 1681 etwa 40.000 herbeigeströmt. Als der Gottesmann predigte, gab die Tribüne plötzlich nach. Unter den Opfern des Unfalls finden wir P. Markus selbst, der sich eine schwere Fußverletzung zuzog. Nur unter Schmerzen konnte die Reise nach Hessen-Kassel, Frankfurt, Würzburg und in die Schweiz fortgesetzt werden. Auch die nüchternen Schweizer begegneten Markus wie einem Engel Gottes.
Auch 1681 hatte dem Kapuziner wieder vieles abgefordert (manchmal bis zu fünf Predigten pro Tag, dazu endlose Aussprachen), ehe er Ende September sein friedliches Padua erreichte.
Nach ermüdenden Fastenpredigten kam Markus Mitte 1682 mit Kaiser Leopold in der Sommerresidenz Laxenburg zusammen. Die Konferenzen beanspruchten diesmal einen Monat. Der Kapuziner weigerte sich, am Hof zu wohnen, und pendelte lieber zwischen Laxenburg und dem Kapuzinerkloster Mödling hin und her. Wieder sprach Markus eine deutliche Sprache und versuchte alles, dem Kaiser begreiflich zu machen, wieviel ihm hohe und höchste Beamte vertuschten oder vormachten. Für den 2. Juli war die große Abschiedsfeier von Pater Markus im Stephansdom angesetzt. Der Andrang der Menschenmassen war aber so groß, daß die Feier auf Befehl des Kaisers auf den Graben bei der Dreifaltigkeitssäule, die damals noch aus Holz war, verlegt wurde. In der Chronik der Österreichisch-Ungarischen Kapuzinerprovinz steht, daß kaum genügend Beichtväter gefunden werden konnten. (…) Das Hochamt wurde in St. Stephan gefeiert … Beim feierlichen Abschied auf dem Graben sprach P. Markus in strengen Worten. Er sei, so wird berichtet, ganz freimütig gegen die herrschenden Laster zu Felde gezogen und habe mit bestimmten Worten die schreckliche Vorhersage formuliert: O Wien, wenn du nicht deine Sitten änderst, so steht dir eine furchtbare Strafe bevor. (…)
In der Tat herrschte damals in Wien, insbesondere beim Adel, eine große Unsittlichkeit, von der viele Quellen sprechen.
Auffallend ist, daß in diesem Zusammenhang von keinerlei Krankenheilungen etc. berichtet wird, wie dies auch zwei Jahre vorher in Linz nicht geschehen ist. Anna Coreth meint dazu: ‚Vielleicht fehlte es an der Tiefe der Bußgesinnung … trotz des äußeren Andranges.‘
In den Briefen Kaiser Leopolds ist immer wieder von der Türkengefahr die Rede.“ 3
„Sultan Mohammed IV. (1648-1687) hatte es verstanden, im türkischen Reich die Sehnsucht nach alter Machtfülle zu wecken. Er sah die Zeit dafür gekommen, das Osmanische Reich auf ganz Mitteleuropa auszuweiten … Ein Riesenheer sollte sich gegen den Westen in Richtung Wien in Bewegung setzen. Als Heerführer bestimmte er seinen Vertrauensmann, den Großwesir Kara Mustafa, bekannt durch besondere Grausamkeit und Feindseligkeit den Christen gegenüber.
Sultan Mohammed IV. schrieb Anfang des Jahres 1683 an Kaiser Leopold I. und an König Jan Sobieski folgenden Brief: ‚Ich habe im Sinn, Euer Gebiet zu erobern. Ich werde dreizehn Könige mit Soldaten, Kavallerie, mit mir führen … (…)‘ „ 4
„Die Lage verschärfte sich, weil ungarische Rebellen, von Frankreich unterstützt, mit den Osmanen gemeinsame Sache machten, ja die Türken zu Hilfe riefen. Zudem mußte man rechnen, daß Ludwig XIV. dem Reich in den Rücken fallen würde. Also Krieg im Osten und Westen! Erst die Garantie der Franzosen, gegen eine türkische Invasion nichts zu unternehmen, ja diese sogar durch einen Entlastungsangriff zu unterstützen, ermutige Kara Mustapha aufzurüsten und gegen Wien zu marschieren. Beinahe wäre es dem ‚christlichsten aller Türken‘ (wie man Ludwig XIV. ironisch titulierte) gelungen, Polen gegen den Kaiser aufzuputschen. Angesichts der Türkennot hatte Leopold nur einen mächtigen und entschlossenen Helfer: Papst Innozenz XI. Odescalchi (1676 – 1689), 1956 selig gesprochen. Er gab sich alle Mühe, die christlichen Fürsten für einen gemeinsamen Kreuzzug zu gewinnen. Das Echo war entmutigend …“ 5
„Unter allen weltlichen Herrschern war es vor allem der Polenkönig, bei dem dieser Gedanke Gehör fand. (…) Der polnische Ständetag schloß am 31. März 1683 die Allianz zwischen Kaiser Leopold und König Sobieski ab: Sollte Krakau angegriffen werden, müßte Österreich, sollte Wien angegriffen werden, müßte Polen zu Hilfe kommen. Es war das große Verdienst des Papstes Innozenz XI., dieses Bündnis zustande gebracht zu haben. (…)
Unermüdlich war der Heilige Vater bemüht, die Rüstungskosten für die Heilige Liga aufzubringen. König Karl II. von Spanien, die italienischen Fürsten und zahlreiche Kardinäle steuerten große Summen bei, vor allem aber der Papst selbst. Und so gelang es diesem und seinen Helfern, in kurzer Zeit dem Kaiser die für damals unglaublich hohe Summe von 1.200.000 Gulden zur Verfügung zu stellen und daneben auch noch Polens Rüstung mit großen Summen zu fördern. Es sei hinzugefügt, daß sich auch Sobieski sehr freigebig aus seinen persönlichen Einkünften beteiligte, desgleichen der Kaiser. Nur war dieser durch die vielen Belastungen in finanzieller Hinsicht schon etwas ausgeblutet; doch gab er auch jetzt noch, soviel er konnte.“ 6
„Am 3. April 1683 schrieb Leopold an Markus: ‚Die Gefahr wächst immer mehr, denn der Krieg ist mehr als sicher und der Türke rückt heran mit einer Macht und einem so zahlreichen Heere, daß man seit hundert Jahren kein so zahlreiches mehr gesehen hat. Ich hingegen bin allein mit meiner Macht. Ich habe keine Hilfe, weder an Leuten noch an Geld. … Trotzdem verliere ich nicht den Mut, denn si hi in curribus et equis, nos in nomine Domini (wenn jene mit Wagen und Pferden kommen, so wir im Namen des Herrn). Ich tue, was mir möglich ist, wenn ich ein Heer von 40.000 Streitern zusammenbringe.‘
Über die Stärke der Türken liegen phantastische Zahlen vor. Ohne Troß dürfte das Heer eine Stärke von etwa 250.000 Mann gehabt haben …
Anfang 1683 hatte die Invasionsarmee Belgrad erreicht. (…)
Was unternahm der Kaiser angesichts dieser Bedrohung? Außer dem Bündnis mit Polen hatte er die Unterstützung Bayerns, Sachsens und des Rheinlandes erreicht. Das Oberkommando seiner eigenen Truppen, der ‚Kaiserlichen‘, weniger als 40.000 Mann, übergab er seinem Schwager Karl von Lothringen. Dieser wurde sofort initiativ und brachte einige Befestigungen in seinen Besitz. Weitere Operationen werden durch das rasche Vordringen der Türken unmöglich. Karl schaffte Artillerie und Infanterie ans nördliche Donauufer und ritt mit seiner Kavallerie vor den Türken nach Wien.
Der Ruf ‚die Türken kommen‘ rief im Raum Wien und in der Stadt eine Panik wach. Etwa 30.000 verließen die Stadt. Und das war gut so, denn die Lebensmittel hätten für eine längere Belagerung nicht gereicht. Andererseits kamen aus den Vorstädten und den umliegenden Orten gerade die ärmeren Schichten nach Wien. (Es werden sich etwa insgesamt 70.000 Menschen in Wien befunden haben.) In der Nacht vom 7. auf 8. Juli hatte Leopold I. Wien verlassen. ‚Ich war gezwungen‘, so schreibt er am 18. Juli an Pater Markus von Passau aus, ‚eines Abends unvorbereitet die Stadt zu verlassen und einen großen Teil der Nacht zu Fuß zu gehen. … Wir sind bis Linz gekommen, aber kaum hatten wir diese Stadt erreicht, als sich Tataren zwischen Linz und Wien zeigten.‘ Wenige Tage später standen die feindlichen Vorausabteilungen vor Wien, und am 17. Juli 1683 war die Stadt von allen Seiten eingeschlossen. Damit begann die denkwürdigste Belagerung aller Zeiten (Pastor). Alles war so schnell geschehen, daß keine Zeit blieb, die Stadt in Verteidigungszustand zu versetzen. Erst im letzten Augenblick konnte Karl etwa 10.000 Soldaten in die Stadt schaffen. Von der Höhe der Stadtmauern konnten die Wiener die Zelte der Muselmanen sehen – Zelte, soweit das Auge reichte. (…)
Während all das Grauenvolle abrollte, die Tataren Dörfer und Märkte bis gegen Oberösterreich in Blut und rauchende Trümmer verwandelten, empfand Pater Markus solches Mitleid und Entsetzen, daß er Schlaf und Appetit verlor. Wie gerne hätte er sein Leben gegeben, um dieses tausendfache Leid abzuwenden! Wie gerne wäre er nach Österreich gekommen, um nicht von der Ferne diese Tragödie zu verfolgen. Von mehreren Seiten hatte man das Kommen des Kapuziners erbeten. So schrieb Pfalzgraf Philipp Wilhelm: ‚Ihr Kommen ist unbedingt notwendig. Ohne Sie sind wir verloren!‘ Der Kaiser wollte Markus nicht rufen, weil er um die Gesundheit seines Freundes bangte. 1682 war dieser drei Monate schwer erkrankt und Anfang 1683 rückfällig geworden. Als sich die Lage aber entsetzlich zuspitzte, schob er alle Bedenken beiseite und erreichte vom Papst, daß Markus raschest eintreffe. Anfang September kam er nach Linz.“ 7
„Von Passau aus organisierte der Kaiser die umfassenden Hilfsmaßnahmen für Wien. (…) In Linz traf sich Leopold I. mit Marco d´Aviano, dem als päpstlichem Legaten sowie auf Wunsch des Kaisers die seelisch-geistige und moralische Stärkung der Truppen aufgetragen war.“ 8
„Die Lage war äußerst verworren, ja verfahren. Wien ‚lag in den letzten Zügen‘, wie es ein Bericht ausdrückte, leistete aber immer noch Widerstand gegen einen Angriff, der ohne Rücksicht auf Verluste von Menschen und Material vorgetragen wurde. Schlimmer als Verluste durch türkische Kugeln und vergiftete Pfeile waren die Ausfälle durch eine Seuche. Die Kanonen waren vielfach unbrauchbar geworden, die Lebensmittel gingen zu Ende. Vom Stephansturm stiegen nachts Raketen auf, dringende SOS-Rufe. Die Entsatzarmee war im Anmarsch.
Nördlich der Donau wartete Karl von Lothringen sorgenvoll auf die versprochenen Verstärkungen. Nur die Bayern waren mit etwa 11.000 Mann pünktlich zur Stelle. Erst Anfang September hatte sich das Heer vollzählig versammelt, aber damit war die Befreiung Wiens noch lange nicht garantiert. Rivalitäten und persönliche Interessen der Kommandierenden drohten das ganze Unternehmen in Frage zu stellen. Und eine Woche Verzug konnte das Ende Wiens bedeuten. Die deutschen Fürsten weigerten sich, ihre Verbände dem Kommando Karls zu unterstellen, König Johann Sobieski forderte direkt den Oberbefehl über alle Verbände. Außerdem wollte der Kaiser persönlich an der Befreiungsschlacht teilnehmen. In diesem Fall wäre ihm das Kommando zugestanden, was erst recht Komplikationen verursacht hätte. So ließ er sich von Pater Markus zu dem demütigenden Verzicht bewegen und näherte sich dem Heer nur bis Dürnstein.
Am 4. September 1683 nahm Markus als Päpstlicher Legat am Kriegsrat zu Tulln teil. Hier entwickelte man eine Kompromißformel, die diskutiert und dann angenommen wurde: Jeder Fürst befehligt seine Abteilung, doch das nominelle Oberkommando kommt dem Ranghöchsten am Platze, König Sobieski, zu.
Einige Jahre später schrieb Markus an den Kaiser: ‚Eurer Majestät ist ja bekannt, daß ich bei der Belagerung von Wien von Gott die Gnade hatte, die Hilfe um zehn Tage früher zu beschleunigen, als es sonst erfolgt wäre, während, wenn diese noch fünf Tage ausgeblieben wäre, Wien in die Hände des Feindes gefallen sein würde. Zweimal besänftigte ich den König von Polen, der aus vielen Gründen aufs höchste aufgebracht war, und brachte ihn mit aller Mühe dahin, an die Befreiung Wiens zu schreiten.‘ Von der erfolgreichen Vermittlertätigkeit des Pater Markus wird uns auch in anderen Schreiben berichtet.
Doch mehr als auf Menschenmacht und -intelligenz setzte der Kapuziner auf den Allmächtigen. Am 8. September, Mariä Geburt, fand auf dem Tullnerfelde eine religiöse Feier statt, wie wir sie bei ihm schon kennen: Reue, Entschluß zu Lebensbesserung, und feste Hoffnung, daß Gott dem Heere Segen schenke. König Sobieski schreibt über diese Feier an seine Gemahlin: ‚Wir haben den gestrigen Tag mit Gebet zugebracht. Pater Markus von Aviano hat uns seinen Segen gegeben. … Wir haben die Kommunion aus seiner Hand empfangen. … Er hat uns eine außerordentliche Ermahnungsrede gehalten. Er fragte uns, ob wir Vertrauen auf Gott hätten, und auf unsere einstimmige Antwort, daß wir ein gänzliches und vollkommenes Vertrauen auf ihn hätten, ließ er uns mit sich mehrere Male wiederholen: Jesus Maria! Jesus Maria! Er las die Messe mit hoher Salbung. Er ist wahrhaftig ein Mann Gottes, dabei ist er weder unwissend noch scheinheilig.‘ Dann ging er von Abteilung zu Abteilung, allen Vertrauen vermittelnd. Alle, auch Protestanten, zeigten sich über sein Kommen so beglückt, daß sie die Gebete mitsprachen.
Am 9. September setzte sich das Entsatzheer in Marsch und bemächtigte sich mühelos der Kahlenberghöhe – ein schweres Versäumnis der Türken. Am Abend des 11. September schreibt P. Markus an den Kaiser ‚vom Berge, im Angesicht von Wien‘: Herzog von Lothringen ‚ißt und schläft nicht und wendet die äußerste Sorgfalt an. Persönlich geht er die Posten visitieren, das Amt eines guten Feldherrn aufs beste verwaltend. … Gelobt sei Gott, während drei Tagen ist das Heer in schönster Ordnung marschiert, auch ohne jeglichen Zwischenfall. Ein solch guter Anfang läßt wohl auf den allerbesten Ausgang hoffen. Nun sind wir nur mehr eine Stunde von Wien entfernt. Schon hat die Stadt durch einen Kanonenschuß unser Kommen erfahren. Sie verteidigt sich tapfer und hat bereits durch ein Zeichen kundgetan, daß sie um unser Kommen wisse.‘ „ 9 „Die Armee ist vortrefflich, sowohl an Infanterie wie an Kavallerie, und ich schätze die Zahl auf 70.000 Mann … „ 10
„Es kam der 12. September – das war der Sonntag der Göttlichen Vorsehung. Um 4 Uhr früh zelebrierte Marco d´Aviano in der zerstörten St. Josefs-Kirche 11 die Hl. Messe. (…) Ministrant war der Polenkönig. (…) König Sobieski empfing mit den übrigen Heerführern die hl. Kommunion; (…) Marco d´Aviano sprach aus dem Ernst der Lage heraus diese Worte: ‚Herr, wir haben zwar deine Strafe verdient … , aber du weißt, daß wir nur den Frieden wollen: den Frieden mit Dir, miteinander, mit allen … Wenn es hilfreich ist, gebe ich mich mit Freuden als Opfergabe hin. Ich erhebe meine Hände wie Moses, damit alle erkennen: Es gibt keinen mächtigen Gott außer Dir … Schenke uns den Sieg!‘ (…)
Nach einem allerletzten Kriegsrat gab Sobieski im Namen Gottes und Mariens den Befehl zum Aufbruch. Der Angriff sollte von einem Höhenzug aus erfolgen: vom Leopoldsberg und Kahlenberg bis zum Dreimarkstein. Das Entsatzheer nahm also die entsprechende Aufstellung. Nur der Kurfürst von Brandenburg, der Frankreich hörig war, zögerte und ließ schließlich die Verbündeten im Stich.
Nichtsdestoweniger war die Moral der Truppen ausgezeichnet. (…) In drei Armeekorps geordnet stieg es (das Heer, Anm.) von den Wienerwaldhöhen zur Stadt hinab. Unter dem Schutz der Muttergottes, deren Bild sie auf die Fahnen geheftet hatten, rückten die Einsatztruppen der feindlichen Übermacht entgegen.
An die Donau lehnte sich der linke Flügel an (Kaiserliche und Sachsen), geführt von Herzog Karl von Lothringen. Er stieß gegen die türkische Hauptmacht vor. In der Mitte, durch Gebüsch, Hecken und Sträucher die Weingärten herab, kamen die Reichstruppen, geführt von Kurfürst Emanuel von Bayern und Fürst von Waldeck. Hier sei erwähnt, was man kaum in einem Geschichtsbuch findet: Der bayerische Kurfürst Max II. Emanuel und sein Heer hatten in München vor der Mariensäule zur Patronin Bavariae gebetet, bevor sie der bedrängten Wienerstadt zu Hilfe eilten. (…)
Die Polen, die den längsten und schwierigsten Anmarschweg hatten, rückten unter dem Oberbefehlshaber Sobieski über Hütteldorf und Dornbach nach Gersthof vor.
Das polnische Heer war schön und seine Truppen kampferfahren gegen die Türken. Die Husaren übertrafen jede westliche Kavallerie durch die Wucht ihrer stets in schnellster Gangart gerittenen Attacken. Kaum eine Truppe konnte ihren Lanzen widerstehen. Doch es gab auch ein Kuriosum: (…) Auf dem Rücken ihrer silberglänzenden Brustharnische trugen die Lanzenreiter bewegliche Holzflügel, die mit weißen Schwanenfedern beklebt waren. (…)
Der Großwesir ließ Wien zum letzten Mal bestürmen, doch den Großteil seiner Truppen sandte er dem zahlenmäßig weit unterlegenen Entsatzheer entgegen. Man hörte das fürchterliche Gedonner aus den Feuerschlünden der feindlichen Batterien sowie die Schüsse der Verteidiger von den Stadtmauern her. Die Stadt war dermaßen in Rauch und Flammen gehüllt, daß man nur die Spitzen der Türme sah.
Ungestüm griffen die Türken die Vorhut des Entsatzheeres an. Der erste wuchtige Angriff des Feinds traf den linken Flügel. So wurden Österreicher und Sachsen schon in den frühen Vormittagsstunden unterhalb des Leopoldsberges in schwere Kämpfe verwickelt. Sobieski schickte einen Teil seiner Husaren zur Verstärkung hinüber. Währenddessen drängten im Zentrum immer mehr Soldaten der Reichstruppen aus Gehölz und Gesträuch hervor. Schritt für Schritt rückten sie gegen die Stadt hinab, bis auch sie auf die verbissene Gegenwehr der Türken stießen. Da war auf einmal die große Schlacht entfesselt. Die Gegner gingen mit ihren Waffen aufeinander los, und die Luft war erfüllt von Geschrei, Waffengeklirr und Stöhnen der Verwundeten und Sterbenden.
Lange wogte der Kampf unentschieden hin und her, lange blieb der Ausgang des Ringens ungewiß. Am frühen Nachmittag wich der rechte Flügel der Türken, der es mit Karl von Lothringen zu tun hatte, zurück. Dann schien es wieder, als würden die Türken die Oberhand gewinnen.
Marco d´Aviano hatte von Anfang an das Heer in die Schlacht begleitet. Nicht Tod noch Teufel fürchtend, eilte er mit dem Kreuz in der Hand den Truppen voran. Er mußte immer wieder von den Kommandanten zurückgehalten werden, damit er nicht, schutzlos wie er war, von feindlichen Geschossen getroffen wurde. So postierte er sich auf einem Hügel, von wo er von allen Seiten gesehen werden konnte. Mit dem Kruzifix in der Hand feuerte er die christlichen Kämpfer wieder und wieder an.
Um diese Zeit weilte Leonore, die Gemahlin des Kaisers, in der Linzer Burgkapelle, wo sie das Mosesgebet Marco d´Avianos durch geistliche Übungen und anhaltendes Gebet unterstützte. Der Kapuzinerpater mochte dies jetzt, in den Augenblicken höchster Bedrängnis, gefühlt haben. Er richtete sich hoch auf, schwenkte das Kreuz, woran ein Bild der Schmerzhaften Mutter befestigt war, mit der Hand nach allen Seiten und rief mit kräftiger Stimme: ‚Sehet das Kreuz des Herrn, fliehet ihr feindlichen Mächte!‘ Da will man über seinem Haupte eine weiße Taube gesehen haben, die in südlicher Richtung gegen Wien flog.
Nun brachen die Polen bei Dornbach am rechten Flügel aus dem Wald und stießen zum Angriff auf das Zentrum vor. Als Sobieski dort mit seinen Reitern angaloppiert kam, erlebten die Osmanen das Schlimmste, das ihnen je zugestoßen war. Gestützt auf ihre reiche Kriegserfahrung, brachten die ungestüm vorpreschenden Polen den Feind in nie dagewesene Bedrängnis. Zudem griffen sie zu einer Kriegslist, indem sie mehrmals vor dem entscheidenden Angriff zurückzuweichen schienen.
Schon mehr aus Verzweiflung als aus Tapferkeit leisteten die Türken Gegenwehr und fügten den Polen erhebliche Verluste zu. Dennoch kam es zum entscheidenden Angriff: Über den Wehrgraben hinweg drang die polnische Kavallerie gegen die Zeltburg des Großwesirs im Trautsonschen Garten in der Nähe der St. Ulrichs-Kapelle vor. Die enggestaffelt heranstürmenden Lanzenreiter mit ihren weißen Flügeln auf dem Rücken erschienen den Türken wie vom Himmel kommende zornige Erzengel. Währenddessen stand Marco d´Aviano noch immer auf seinem Hügel über dem Schlachtengetümmel und betete mit hocherhobenem Kreuz für seine Kämpfer.
Da verwandelte sich der Kapuziner in den Augen der Türken zur Riesengestalt. Der Mönch mit der braunen Kutte wuchs von der Erde bis zum Himmel empor, und die Bewegungen und Gegenbewegungen, die er mit dem Kreuz machte, versetzten die Feinde in panische Angst und namenlosen Schrecken. Auch der Großwesir geriet in Panik und ließ zum Rückzug blasen. Jeglicher Kampfgeist schwand, jede militärische Ordnung löste sich auf. Völlig konfus und kopflos geworden, ließ man alles liegen und stehen, und das gewaltige türkische Heer suchte sein Heil in wilder Flucht.
So endete diese denkwürdige Schlacht unter dem Schutz der allerseligsten Jungfrau und des heiligen Josef mit einem ungewöhnlichen Sieg, der allen wie ein Wunder erschien. Wien war nach 62tägiger Belagerung aus höchster Not gerettet und mit ihm das gesamte christliche Abendland vor dem Untergang bewahrt.
Groß war die Beute der Sieger; denn die Türken hatten neben Waffen, Zug-, Reit- und Tragtieren Kostbarkeiten aller Art zurückgelassen, darunter auch Gewürze und Kaffee. Auch das prunkvolle Zelt Kara Mustafas fiel in die Hände der Sieger. Doch die wertvollste ‚Beute‘ waren rund fünfhundert Kinder, die Vater und Mutter verloren hatten und vom Wiener Neustädter Bischof Kollonitsch gesammelt, versorgt und betreut wurden. Andreas Liebenberg, der tapfere Wiener Bürgermeister, hat die Befreiung nicht mehr erlebt. Er war nur wenige Tage zuvor an Erschöpfung gestorben.
Am 14. September kehrte Kaiser Leopold zu Schiff auf der Donau in seine geliebte Residenzstadt zurück. Nach Besichtigung der stark beschädigten Stadtmauer ritt er zum Stephansdom, um Gott erst einmal zu danken. Dort stimmte Bischof Kollonitsch das Te Deum an. (…)
Unbeschreiblich war der Jubel über die Befreiung, und das nicht nur in Wien. In Rom läuteten drei Tage lang die Glocken.“ 12
„Sobieski sah in dem errungenen Sieg ein besonderes Eingreifen Gottes. In feierlichem Zug bewegte er sich am 15. September mit den anderen Heerführern zur Loretto-Kapelle in der Augustinerkirche, wo der Kaiser die große offizielle Dankesfeier hielt.“ 13
„In einem Brief an Pater Markus schreibt er, daß er vorher beichten und dann kommunizieren wolle und daß Pater Markus die Predigt halten und den Segen geben solle. Dieser tat es mit einem Herzen voll Wehmut und Enttäuschung. Die Wiener hatten nur eine Sorge: rauschende Feste als Entschädigung für die ausgestandene Not. Die Offiziere dachten nicht daran, den Sieg über die nun mutlose und dezimierte türkische Armee zu nützen. Die Politiker sprachen offen von einem Waffenstillstand mit der Türkei, um das christliche Frankreich anzugreifen. (…) Enttäuscht, sehr zum Schmerz des Kaisers, verließ Markus Wien: schließlich hatte er den Befehl des Papstes erfüllt.“ 14
Die Wiener Türkenbelagerung 1683 ist vorüber; doch begleiten wir Marco d´Aviano und Leopold noch weiter:
Es kam dann doch mit einigen Beteiligten zur Fortsetzung des Türkenkrieges. Ab 1684 wurde mit Unterstützung von Marco d´Aviano um Budapest und Belgrad gekämpft. Es gab Erfolge, doch durch verschiedene Mißstände im Heer (Rivalitäten unter einigen Heerführern …) sowie auch durch die mangelnde Unterstützung des nachfolgenden Papstes Alexander VIII. war manches nicht von langer Dauer.
„Seit 6. Oktober 1689 regierte ein neuer Papst: Alexander VIII. Von ihm war wenig Unterstützung zu erwarten. (…) Dann bestieg der kriegsentschlossene Kara Mustapha II. den Sultansthron. Als er 1697 mit einer riesigen Invasionsarmee in Ungarn erschien, war die Kriegskasse Wiens leer. Die Erfolge von 15 Kriegsjahren schienen vergebens und Wien abermals verloren. ‚Pater, wir sind verloren. Wenn die Türken heuer nicht nach Wien vorstoßen, dann nur, weil der Sommer vorgerückt ist. Und ich habe kein Geld … bin verlassen‘, schreibt der Kaiser in höchster Bedrängnis. In Wien herrschte Panik wie 1683. Wieder eilt Markus nach Wien, veranstaltet Marienfeiern vor dem Bild Maria Pötsch im Stephansdom, sorgt dafür, daß korrupte Heereslieferanten abgesetzt werden, daß den meuternden Truppen der längst fällige Sold bezahlt wird. Schließlich errang der geniale Prinz Eugen mit der eben noch meuternden Armee den großen Sieg bei Zenta am 11. September 1697. Während die Wiener halb bangend, halb hoffend die Kirchen füllten, kam die Siegesmeldung. Leopold umarmte Markus, unfähig ein Wort zu sprechen. In der kaiserlichen Privatkapelle löste sich seine Zunge zum gemeinsamen Te Deum! Die Wiener behaupteten mit Recht: Pater Markus hat mehr für uns getan als alle anderen in dieser Stadt!
Zu den aufreibenden Türkenfeldzügen kam noch das zähe diplomatische Ringen um die kirchlichen Immunitäten, die von der Wiener Regierung mißachtet wurden. Die Gängelung der Kirche nahm immer krassere Formen an. Markus unternahm in den Jahren 1689, 1690, 1692, 1695 und 1697 die immer beschwerlicher werdende Reise nach Wien, um zwischen Papst und Kaiser zu vermitteln und den Übergriffen der kaiserlichen Minister gegen die Kirche Einhalt zu gebieten. Unter diesen physischen und psychischen Belastungen war er stark gealtert, ausgezehrt und krank geworden: arge Fußleiden, Fieber, Kopfschmerzen und vor allem Magenbeschwerden plagten ihn ständig.
Dennoch war er dem Wunsch seines kaiserlichen Freundes gefolgt und 1699 nochmals nach Wien gekommen – es sollte das letzte Mal sein. Seine heikle Aufgabe war es, eine Aussöhnung zwischen der kaiserlichen Regierung und dem Papst herbeizuführen. Er kannte dabei keine Schonung: ‚Nie fand ich die Situation verworrener als jetzt. … Ich bin auf’s äußerste belästigt durch Besuche von Ordens- und Weltleuten. Da bräuchte es die Geduld eines Hiob‘, schreibt er am 29. Juli 1699. ‚Mein Magen ist voll Galle und kein Mittel, das mir helfen könnte. … Wenn nur ein bißchen Fieber hinzutritt, bin ich verloren. Es walte Gott mit mir, was zu seiner Ehre gereicht, anderes will ich ja nicht.‘ Bald stellten sich tatsächlich Fieber ein und das alte schmerzhafte Magenleiden. Am 12. August empfing er mit Innigkeit die hl. Sakramente und erneuerte die Ordensgelübde, die sein Leben geprägt hatten. Am 13. August 1699 um 11 Uhr verschied Pater Markus von Aviano im Kapuzinerkloster zu Wien in Gegenwart des Kaisers und der Kaiserin, die er beide zuvor noch gesegnet hatte.
Vier Tage lang blieb der Leichnam in der Kapuzinerkirche aufgebahrt, und der Andrang der Wiener war so groß, daß zur Aufrechterhaltung der Ordnung Militär aufgeboten werden mußte.
Am 17. August fand im Beisein des Kaisers und des ganzen Hofes die Beisetzung in der Klostergruft statt.
Im Jahre 1703 wurde der fast völlig unverweste Leichnam in der rechten Seitenkapelle der Kapuzinerkirche beigesetzt, wo er noch heute seine Ruhestätte hat.“ 15
Es gibt in der Schrift der Kapuziner eine Beschreibung dieser Seitenkapelle:
„In der Wiener Kapuzinerkirche befindet sich in der rechten Seitenkapelle, die der Schmerzhaften Muttergottes geweiht ist, eine Grabstätte: Unter einer Glasplatte ist ein schlichter Bronze-Sarkophag sichtbar. Die Steinplatte davor trägt die Inschrift: ‚P. MARKUS VON AVIANO – 1631 – 1699‘. Hinter der rechten Seite des Altars, eingefügt in die Mauer, befindet sich eine Steintafel mit einer lateinischen Inschrift, die in deutscher Übersetzung lautet: ‚Dem Pater Markus von Aviano, Kapuziner, Prediger, geschmückt mit den Tugenden des Evangeliums, der zu Wien in Österreich in der Umarmung Seines Herrn sanft entschlummerte, von Kaiser Leopold, seiner Gemahlin und den Kindern in Trauer gewidmet. Pater Markus von Aviano, dem wahren Diener Jesu, Ruhe und ewiges Licht.‘ Seit 17. November 1891 schmückt die gegenüberliegende Wand dieser Kapelle, oberhalb der Tür zum Beichtzimmer, ein ... Epitaph aus Marmor, das ein Ölgemälde … in Medaillenform umrahmt und die Inschrift trägt: ‚DEM SCHUTZGEIST WIENS UND OESTERREICHS IN DER TÜRKENNOTH 1683 – P. MARCO D´AVIANO O. C. GEB. 17. NOVEMB. 1631, + 13. AUGUST 1699.‘ „ 16
Es gibt auch ein Denkmal:
„Am Neuen Markt, zwischen Kirche und Klosterpforte, ist eine kleine Freilichtkapelle eingebaut, in der die überlebensgroße, eherne Gestalt des Pater Markus steht, wie er mit erhobenem Kreuz vorwärtsstürmt. Dieses Denkmal … wurde am 9. Juni 1935 im Beisein der gesamten Regierung und vieler in- und ausländischer Gäste feierlich enthüllt.“ 17
Dieses Denkmal ist auf den Fotos weiter unten (die von uns selbst stammen) zu sehen.
Auf dem Sockel ist eingraviert:
P. Markus von Aviano
Die Seele der Befreiung Wiens
XII. September MDCLXXXIII
„Schon Leopold I. wollte das Andenken an Pater Markus von Aviano für alle Zeiten bewahren, indem er sich um die Einleitung des Seligsprechungsprozesses bemühte. Sein baldiger Tod und die folgenden Kriegswirren ließen dies Unternehmen jedoch in Vergessenheit geraten. Jahrhunderte vergingen. Erst anläßlich der Türkenbefreiungsfeiern im Jahre 1883 wurde das Andenken des Pater Markus neuerdings wachgerufen. Gewaltigen Aufschwung brachten im Jahre 1933 die Feiern anläßlich des 250. Jahrestages der Befreiung Wiens von der Türkenbelagerung, bei denen auch der Plan zu einem seiner Verdienste würdigen Denkmal gefaßt wurde. Dieser Plan fand in der schon erwähnten feierlichen Enthüllung des Denkmals am 9. Juni 1935 schließlich seine Erfüllung. Der kirchliche Seligsprechungsprozeß wurde – mit großen Unterbrechungen – seit vielen Jahrzehnten geführt. Die Überprüfung seines überaus umfangreichen und weithin verstreuten schriftlichen Nachlasses brauchte Zeit; (…) Doch wurde zum 300. Jahrestag seines Todes im Jahre 1999 sowohl in seiner Heimat Aviano als auch in Wien dieses großen Freundes Österreichs … festlich gedacht. Und schließlich erfolgte seine Seligsprechung in Rom am 27. April 2003.“ 18
Der liturgische Gedenktag des Sel. Marco d´Aviano ist der 13. August.
Genannt werden muß auch noch das Fest „Mariä Namen“: Der Sieg bei der Türkenbelagerung wird in besonderer Weise der Hilfe der Muttergottes zugeschrieben. Der Grund war neben der oftmaligen Bitte um ihre Fürsprache auch ganz besonders dieser, wie schon gesagt: “Unter dem Schutz der Muttergottes, deren Bild sie auf die Fahnen geheftet hatten, rückten die Einsatztruppen der feindlichen Übermacht entgegen.“ Und auch an dem Kreuz von Marco d´Aviano war, wie wir schon wissen, ein Bild der Schmerzhaften Mutter befestigt.
„Papst Innozenz XI. setzte der Gottesmutter zu Ehren auf den Tag des 12. September das Fest ‚Mariä Namen‘ ein, das er zum Gedächtnis des großen Sieges von Wien fortan in der gesamten Christenheit zu feiern befahl.“ 19
„Markus von Aviano ist der Retter Wiens, den wir dankbar feiern. Er war es als der große Gottsucher und Menschenfreund, dessen Fürsprache wir uns empfehlen und dessen Christusnachfolge wir nachahmen wollen.“ 20
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1 Provinzialat der Kapuziner Wien (Hrsg.): Marco d´Aviano. Beter – Apostel – Retter Wiens, S. 4.
(Verwendete Quellen in dieser Schrift: Chronik der Österreichisch-Ungarischen Kapuzinerprovinz, Chronik des Kapuzinerklosters Wien I. u.a.
Die Schrift ist bei den Kapuzinern in Wien erhältlich.)
2 KOVARIK, Paul: St. Josef am Kahlenberg im Sturm der Zeiten. 1. Aufl. St. Andrä-Wördern: Mediatrix-Verlag, 2007, S. 75-76.
3 Kapuziner, S. 20-30.
4 KOVARIK, S. 27.
5 Kapuziner, S. 31.
6 KOVARIK, S. 30-33.
7 Kapuziner, S. 31-33.
8 KOVARIK, S. 37.
9 Kapuziner, S. 33-36.
10 KOVARIK, S. 43.
11 Die St. Josefs-Kirche steht auf dem Kahlenberg und gehörte zum Kamaldulenser-Kloster, das sich dort früher befunden hat: „Die Kirche St. Josef am Kahlenberg war im Inneren noch nicht ganz vollendet, als am 7. Juli 1683 Türkenhorden dort erschienen und die Eremie samt der Kirche niederbrannten. Die Kamaldulenser hatten schon am 2. Juli 1683 ihr Kloster verlassen …“ (KOVARIK, S. 23.)
12 KOVARIK, S. 44-53.
13 KOVARIK, S. 52.
14 Kapuziner, S. 40.
15 Kapuziner, S. 44-46.
16 Kapuziner, S. 2.
17 Kapuziner, S. 2.
18 Kapuziner, S. 3.
19 KOVARIK, S. 53
(Aus einer anderen Quelle heißt es, daß Papst Innozenz XI. das Fest für den Sonntag nach Mariä Geburt (8. September) festsetzte und später Papst Pius X. es auf den 12. September verlegte.)
20 Kapuziner, S. 46.