Haus St. Antonius
Grein a.d. Donau / Österreich
 


(Artikel aus der Quartalschrift "Wegbegleiter" 2016 / 4)

Mag. Elisabeth Svoboda

Martin Luther


Das Bild, das es in der Öffentlichkeit so allgemein von Martin Luther gibt, ist ungefähr dieses: Es gab zu seiner Zeit in der katholischen Kirche große Mißstände wie ein übermächtiges Papsttum, Ablaßhandel, bei dem die Kirche gut verdient hat und dem Volk weismachte, daß es sich mit Geld den Himmel erkaufen kann, Vernachlässigung der Heiligen Schrift und anderes. Martin Luther hat diese Mißstände erkannt, aufgezeigt und dagegen angekämpft. Leider kam es dann zur Kirchenspaltung.

Anläßlich des Lutherjahres 1983 (500. Geburtstag Luthers) wurde an der Universität Köln ein Seminar mit katholischen und evangelischen Studenten abgehalten. Dabei gab es eine intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Luthers Schriften und den zahlreichen Biographien. Aus diesem Seminar ist ein Buch des deutschen katholischen Theologen und Psychologen Albert Mock hervorgegangen. *)

Im Hinblick darauf, daß Papst Johannes Paul II. hinsichtlich der Ökumene von den beiden wichtigen Kriterien Liebe und Wahrheit gesprochen hat, sagt Mock über sein Buch: "Zielgruppe diese psychologischen und theologischen Reflexionen sind alle diejenigen, denen die Einheit aller Christen in 'Liebe und Wahrheit' ein Herzensanliegen ist ..."

Mock schreibt, daß "das in den Lutherbiographien und in den Medien, aber auch in den amtlichen kirchlichen Blättern aufgezogene Lutherbild nicht mit dem Luther der Quellen übereinstimmt. Es zeigen sich große Widersprüche, Ungereimtheiten und Auslassungen."

Luther trat ins Augustinerkloster in Erfurt ein. Allgemein wird gesagt, daß der Anlaß die Einlösung eines Gelübdes während eines  Gewitters bei Stotternheim gewesen sei, das er gut überstanden habe. Die Forschungen ergaben jedoch, daß Luther einen Mitstudenten, Hieronymus Buntz, im Zweikampf mit einem Dolch verletzt hat, sodaß der  Student in der Folge starb. Um der drohenden Todesstrafe zu entgehen, begab sich Luther im Kloster in Kirchenasyl.

Weiters zeigt Mock auf, daß Luther psychisch krank war. Er war manisch-depressiv, und zwar "ein geradezu klassischer Fall". Es zeigen sich an Luther lt. Mock Gefühlszustände und Verhaltensweisen wie Depressivität, Angst - bis hin zu Ohnmachtsanfällen, Hyperaktivität, Größenwahn, drogenartiges Glücksgefühl, prophetisches Sendungsbewußtsein, nicht mehr zu übersteigendes Selbstwertgefühl, Zorn, Wut, Aggressivität. Luther war auch "mehr als einmal nahe am Suicid".

Mock erwähnt hierzu auch Friedrich Nietzsche, der sich auch mit Luther befaßt hat: "Seine grobianistischen Entgleisungen ... und Haßtiraden sind so außergewöhnlich ausfallend, daß sie sogar den darin abgehärteten Nietzsche zu der Äußerung bewegen: 'Die gräßliche hochmütige gallisch-neidische Schimpfteufelei Luthers, dem gar nicht wohl wurde, wenn er nicht vor Wut auf jemanden speien konnte, hat mich zu sehr angeekelt.' ."

Luthers Theologie ist geprägt von seiner Krankheit: " ... seine seelisch-geistige Störung" geht "mit darin ein". ... "Luthers theologische Fragestellung ... steht ... unter dem Zwang seiner Persönlichkeitsstruktur und traumatischen Erlebnisse. Sie ist im Kern der geniale Versuch einer Selbstheilung mit theologischen Mitteln und darum keine Theologie, sondern Metapsychologie." (Mock).

"Er steht unter dem neurotischen bis psychotischen Zwang der  Auswahl dessen, was ihn tröstet, seine Depressionen heilt und seine Leidenschaften entschuldigt." (Mock).

"Luther assimiliert, vergewaltigt den Text der Heiligen Schrift, paßt ihn seinem Verständnis und Heilungsbedürfnis an. So erkennt er beispielsweise nicht die ganze Heilige Schrift als kanonisch an, auch wenn er sie sprachlich exzellent übersetzt, sondern sortiert aus nach 'seinem' Prinzip, indem er zwischen kanonischen und nicht-kanonischen Büchern unterscheidet, zwischen solchen nämlich, die das Heilswerk (im Sinne Luthers) besonders hervorheben und solchen, die es seiner Meinung nach nicht tun." (Mock).

"Wenn man sich einmal die Mühe macht, die von ihm als Beweis angeführten Schriftstellen genau nachzulesen, ist man mehr als nur erstaunt über diese geradezu krankhaft kühne Art, den Text der Schrift auf die eigenen Bedürfnisse zuzuschneiden." (Mock).

Ein Beispiel ist hier Luthers "Sola-Theorie" (der Glaube allein, die Schrift allein, die Gnade allein, Christus allein). Er sagt "die Schrift allein" und "der Glaube allein" (also gemeint Glaube ohne Werke). In der Schrift findet sich jedoch z.B. im Jakobusbrief der Satz " ... so ist auch der Glaube tot ohne Werke" (Jak 2,26). Wie löst Luther diesen Widerspruch? Indem er den Jakobusbrief einfach nicht ernst nimmt und ihn abwertend als "stroherne Epistel" bezeichnet. Mock sagt: "Glauben allein, ohne Früchte oder Werke ... ist so unmöglich wie Feuer ohne Wärme ..."

Nicht unerwähnt sollen schließlich bleiben die neuesten Forschungen über Luthers Lebensende. Gemäß dem Buch "Luthers Lebensende" von Paul Majunke (Europäischer Geschichtsverlag, 2011, Nachdruck des Originals von 1891) erscheint es in einem hohen Maße möglich, daß Luther nach einem Trinkgelage in Eisleben sich in seinem Zimmer durch Erhängen neben seinem Bett das Leben genommen hat.

In der Enzyklika "Ut unum sint" über die Ökumene von Papst Johannes Paul II., 1995, Nr. 36 heißt es: "Die Wahrheitsliebe ist die tiefste Dimension einer glaubwürdigen Suche nach der vollen Gemeinschaft der Christen. Ohne diese Liebe wäre es unmöglich, sich den objektiven theologischen, kulturellen, psychologischen und sozialen Schwierigkeiten zu stellen, denen man bei der Untersuchung der Gegensätze begegnet."

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*) MOCK, Albert: Abschied von Luther. Psychologische und theologische Reflexionen zum Lutherjahr. 8. Aufl. Köln: Luthe-Verlag, 2015.

Zu diesem Thema siehe auch Homepage von Michael Hesemann (Historiker, Buchautor)
(www.michaelhesemann.ibk.me - "Ökumene", Artikel "Martin Luther jenseits protestantischer Apologetik und Hagiographie").




 

 

 

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